Dem (fast) vergessenen Genius, dessen Zeit immer neu anbricht
Am 14. Juni 2011 wäre Herbert Fritsche, der Tief- und Weitblickende 100 Jahre alt geworden. Doch er starb bereits am 20. 06.1960 im Alter von nur 49 Jahren. So sind es denn nur wenige, die sich seiner noch erinnern und wenige nur sind es, die ihn bis heute immer wieder neu dem Vergessenwerden entreißen. Wer immer sich mit dem Werk Herbert Fritsches auseinandersetzt, wird rasch bemerken, dass er sich nicht in gewohnte Schemata einordnen lässt. Denn jede Grenzziehung zwischen den Themen, die er berührt, durchdacht und uns dadurch aufgeschlossen hat, ist rein subjektiv und willkürlich und kann ihm, der stets das Ganze zu fassen suchte, nicht gerecht werden.
Herbert Fritsche aber setzt nicht ein Weltbild gegen ein anderes, vertauscht nicht eine Vorstellung gegen eine andere, sondern hat den Blick für das, was dahintersteht. Das zeigt sich nicht nur in seinem Buch Der Erstgeborene, einem Werk, in dem er ganz klar eine Sicht vermittelt, die sich so wohltuend von den kausalen Erklärungsversuchen unserer üblichen Weltsicht unterscheidet, dass der Leser innerlich immer wieder nur Ja sagen kann zu dem, was er, indem er die Welt scheinbar auf den Kopf stellt, an Gedanken entwickelt. Das setzt sich fort in seinem wohl bekanntesten Buch Samuel Hahnemann, Idee und Wirklichkeit der Homöopathie, wo er nicht nur dem Begründer der Homöopathie ein Denkmal setzt und Signaturen herausarbeitet, sondern wo es ihm vor allem auch bereits gelingt, den elementaren Grundgedanken der Homöopathie und das immerwährende Urprinzip, dieses ewig gültige Gesetz des similia similibus curentur auf allen Ebenen des Daseins durchscheinen zu lassen. Das zeigt sich aber vor allem in seinem wohl größten Werk seines Lebens, wenn auch im Umfang vielleicht eher bescheiden, Die Erhöhung der Schlange – er nennt es die summa seines Lebens – wo es ihm endgültig gelingt, das Heil- bzw. Ganzmachende im Sinne des Sakralen an der Homöopathie sichtbar werden zu lassen. Er überschreitet damit die Grenzen des kausal-polaren Denkens und rührt an das Ganze, an das All-Eine, um das es doch letztendlich geht und das nur über den Weg des Unheils gefunden werden kann. „Die ganze Welt ist Gift“, sagt er, „aber im Gift wohnt zugleich das Heil“. Diese tiefe Sicht, die weit über die Sicht der Vertreter der Homöopathie hinausreicht, auch über die Hahnemanns, der doch zugleich Wegweiser für ihn war, lässt Einsicht erkennen.
Zugegeben, Herbert Fritsche passt nicht in unsere Zeit; denn er stört unsere scheinbar heile Welt, die wieder einmal – ach wie oft schon und immer wieder – kurz davor zu stehen glaubt, endlich alles Böse und Kranke aus der Welt schaffen zu können. Aber: „Man kann nichts aus der Welt schaffen, man soll es erst gar nicht versuchen. Könnte man es, würde Gott zu Tode erkranken.“ Seit Herbert Fritsche wissen wir das.
Doch weil diese Sicht von den allermeisten nicht mitgetragen werden kann, wird er bei der Mehrheit – falls sie ihn überhaupt findet – rasch wieder in der Versenkung verschwinden. Aber er wird weiter leuchten für die wenigen, die ihn immer neu entdecken und vor dem Vergessenwerden bewahren – auch über den hundertsten Geburtstag dieses Genius hinaus.
Werner Zachmann